Wann ist ein Embryo ein Embryo?
Ein Plädoyer für mehr Behutsamkeit

von Dietmar Mieth

Man kann das Klonen vom Embryonen "in vitro", um der Organzüchtung aus Stammzellen willen, beim Menschen ablehnen, - teils weil die Therapie, die zur Rechtfertigung angeführt wird, noch keineswegs da ist, teils weil jede Manipulation dieser Art ein Türöffner für Menschenzüchtung sein könnte. Doch der Einwand, hier würden Embryonen, die als menschliche Lebewesen anzusehen sind, verbraucht, ist auch auf Gegenargumente gestoßen. Diese müssen aufmerksam betrachtet werden. Dabei kann die Biologie nur die Indizien beisteuern - die Einschätzung selbst ist philosophisch. Auch Theologen können hier nur philosophisch argumentieren.

Die Gegenthese gegen den frühen Embryonenschutz, der ein Klonen "in vitro" verböte, lautet: Der nach der Dolly-Methode geklonte Embryo ist nicht gleichzusetzen mit einem Embryo, der als vollzogene Verschmelzung von Ei- und Samenzelle definiert wird. Denn der Klon-Embryo ist eine Verschmelzung von entkernter Eizelle (menschlicher oder gar tierischer Herkunft) und menschlicher Stammzelle aus jenem Menschen, um dessen Klon es geht, wenn weitere Stammzellen und daraus Organe gezüchtet werden sollen. Zwar haben "Natur"-Embryo und "Klon"-Embryo möglicherweise - Dolly hochgerechnet auf den Menschen - die gleiche Potenz, ein Mensch zu werden, aber sie haben doch eine sehr unterschiedliche Herkunft.

Zu dieser These gehört auch der Hinweis auf das resolute Einpflanzungsverbot für Klon-Embryonen, das freilich in den USA bisher nur eine Moratorium-Empfehlung (Clinton-Kommission 1997) darstellt. Ist nun der Klon-Embryo kein Embryo, auf den sich, wie es in der Bundesrepublik für den Embryo als Verschmelzung von Ei- und Samenzelle heißt, "die Menschenwürde erstreckt"? Das ist doch, auch beispielsweise für die Kirchen, eine entscheidende Frage!

Wenn der Status des Embryos ganz an dem Potenzialitätsargument hängt (dass nämlich aus dem Embryo ein Mensch werden kann), dann ist der moralrelevante Status des Klon-Embryos der gleiche wie der des "Natur"-Embryos. Hängt der Status hingegen an der Herkunft aus der, wenn auch künstlich assistierten, natürlichen Befruchtung, zu welcher die Potenz, ein Mensch zu werden, sowie die Kontinuität zum Menschen hinzukommt, dann wäre beispielsweise der Status des Klon-Embryos ein anderer.

Mit dieser Problem-Exposition ist eine andere Frage verbunden: Haben wir die Berechtigung, dem Natur-Embryo einen Klon-Embryo zur Seite zu stellen, um diesen verbrauchend zu manipulieren? Denn zu unterscheiden ist, ob das Hergestellte den gleichen Status hat wie das assistiert "Natürliche", von der Frage, ob wir diesen Zustand eines potenziell gleichrangigen, aber herkunftsmäßig verschiedenen Embryos herbeiführen dürfen (oder, in Bezug auf vergangene Versuche im Ausland, durften).

Diese letztere Frage würde ich verneinen und dabei auf die eingangs genannten Argumente gegen das fälschlicherweise "therapeutisch" genannte Klonen verweisen: Wir manipulieren ein Gut zum Zwecke seiner Auflösung für ein Gut, das noch nicht da ist und nicht garantiert werden kann (die Therapie) - und wir riskieren dabei, dass damit die Tür zur Menschenzüchtung geöffnet wird. Deshalb kann man auch weiterhin nur dazu aufrufen, alle Alternativen zu der von einer britischen Kommission empfohlenen Klon-Embryo-Methode zu prüfen und in der Forschung zu unterstützen.

Anders wäre dies jedoch, wenn der Klon-Embryo nicht nur kein geborener Mensch werden dürfte, sondern dies auch nicht werden könnte. Dies ist wiederum eine Frage, die nur mit biologischen Indizien betrachtet werden kann. Dazu könnten die Tierversuche in analoger Deutung ebenso herangezogen werden wie die biologische Prognose für Embryo-Chimären (Herkunft aus menschlichen Stammzellen und tierischer Eizelle). Sofern nämlich das Argument mit der schiefen Bahn zur Menschenzüchtung biologisch abgewehrt sein könnte (und nicht nur durch weltweit keineswegs garantierbare Uno-Appelle), würde das Potenzialitätsargument seine Basis verlieren - übrig blieben freilich für die katholische Opposition die Einwände gegen die manipulierte Fruchtbarkeit. Auch an dieser Stelle ist jedoch zusätzlicher Forschungsbedarf zu reklamieren, der eine Erlaubnis von Embryo-Klonen "in vitro" zumindest deutlich verschieben müsste - nämlich so lange, bis diese Fragen beantwortet sind.

Wir müssen uns darüber klar sein, dass mit dem Klonen derzeit mehr Fragen verbunden sind, als wir beantworten können, und diese Fragen dürfen nicht einfach um euphorischer medizinischer Erwartungen willen verdrängt oder übergangen werden. Weder in der Folgenabschätzung noch in der philosophisch-ethischen Einschätzung sind wir bisher zur Auslotung solcher Fragen gelangt.

Deshalb ist es meiner Auffassung nach ein Skandal, dass EU-Projekte, die sich mit solchen bioethischen Fragen beschäftigen, wegen Mangel an (fach)wissenschaftlicher Innovation nicht weiter gefördert wurden. Denn auch wenn es in Europa unterschiedliche Meinungen über den Status des Embryos gibt - eine Norm sollte doch für die Zukunft gleich sein: Man soll Probleme nicht so lösen, dass die Probleme, die durch die Problemlösung entstehen, größer sind als die Probleme, die gelöst werden. Selbst wenn man zukünftigen Kranken helfen könnte, würde man doch einen größeren Problembestand für die Gesellschaft rsikieren, wenn man das Klonen von Embryonen "in vitro" erlauben würde.

Der Autor ist Professor für theologische Ethik in Tübingen und Mitglied der Bioethik-Beratergruppe bei der EU in Brüssel.

Quelle:
Der Tagesspiegel online
www2.tagesspiegel.de
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