Hebammen und Laktationsberatung

von Regine Gresens IBCLC
Hamburg, 2001

Mit meinem Vortrag möchte ich nun die Betreuung der stillenden Mütter durch die Hebammen beleuchten.

Als Einleitung möchte ich Ihnen einen typischen Fall berichten.
Danach werde ich zunächst die Realität der Stillberatung von Hebammen hinterfragen und anschließend das Verhältnis zwischen Hebammen und Laktationsberaterinnen analysieren.
Und zum Abschluss möchte ich Vorschläge für die Verbesserung der bestehenden Situation machen.

Der Fall Monika K.:
Frau K. bringt nach einer langen Geburt in der Klinik eine gesunde Tochter zur Welt. Von Anfang an gibt es Schwierigkeiten beim Anlegen der kleinen Jessica.

Ab dem 4. Tag pumpt Frau K. ihre Milch ab und füttert sie mit der Flasche, da Jessica bereits sehr viel abgenommen hat.

Nach der Entlassung wird sie von einer freiberuflichen Hebamme weiterbetreut. Die Hebamme nimmt sich viel Zeit, um Frau K. zu helfen. Bei ihren Besuchen versucht sie immer wieder Jessica an die Brust zu legen.
Aber meistens ist es das gleiche Spiel wie in der Klinik. Jessica beginnt zu schreien, sobald sie in die Stillposition gebracht wird, zappelt und wendet sich von der Brust ab.

Dreimal gelingt es der Hebamme Jessica so anzulegen, dass sie für einige Zeit an der Brust saugt. Frau K. ist jedes Mal ganz euphorisch und voller Hoffnung.
Ihre Versuche Jessica danach alleine anzulegen, bleiben jedoch erfolglos.

Die Hebamme ist ratlos, einen Fall wie diesen hat sie bisher noch nicht gehabt. - So besorgt sie besondere Stillhütchen aus Silikon, an denen Jessica auch saugt, aber ihre Mutter hat dabei starke Schmerzen in den Brustwarzen.

Nach 3 Wochen schließt die Hebamme ihre Betreuung ab. Die Stillprobleme sind ungelöst.

6 Wochen nach der Geburt geben die Eltern ein großes Familienfest.
Am nächsten Tag geht es Frau K. nicht gut. Sie hat Schmerzen in der linken Brust und ruft ihre Hebamme an. Diese kommt auch sofort.

Der obere äußere Quadrant der Brust ist gestaut, heiß und gerötet, Temperatur 38,5°. Die Hebamme massiert den Stau aus. Anschließend wird die Brust mit Quark gekühlt. Das Fieber sinkt.

Am nächsten Tag jedoch ist es bei 39°. Frau K. fühlt sich sehr krank.
Wieder kommt die Hebamme schnell. Die linke Brust ist jetzt vollständig gerötet und hart. Sie schickt Frau K. sofort zu ihrem Gynäkologen.

Er diagnostiziert eine schwere Brustentzündung, verschreibt ein Antibiotikum und stillt Frau K. medikamentös ab.

Diese nachbetreuende Hebamme war ich und dieser Fall liegt heute fast 10 Jahre zurück. Ich hätte Frau K. wirklich sehr gerne zum Stillen geholfen und habe damals getan, was ich konnte und für richtig hielt. Dass manche meiner Maßnahmen falsch waren und was noch hätte getan werden können, habe ich zu dieser Zeit nicht gewusst.

Aber Fälle wie dieser kommen auch heute noch immer wieder vor, wie Sie vielleicht auch selber bestätigen können. Ich weiß, dass es so ist, denn heute kommen Frauen mit solchen oder ähnlichen Verläufen zu mir, als Still- und Laktationsberaterin, und oft gibt es noch eine ganze Menge, was ich ihnen vorschlagen kann.

Erst nach der Geburt meines eigenen Sohnes vor sieben Jahren merkte ich, wie bedeutend das Thema "Stillen" für die Mütter ist und wie wenig ich als Hebamme über den Umgang mit Stillschwierigkeiten wusste. Seitdem hat es mich nicht mehr losgelassen. Seit 5 Jahren arbeite ich nun neben meiner Hebammentätigkeit als Still- und Laktationsberaterin und erlebe dabei immer wieder, wie schwer sich manche Hebammenkolleginnen bei der Stillberatung, aber auch in der Zusammenarbeit mit Laktationsberaterinnen tun.

Und genau aus diesem Grund stehe ich jetzt hier und möchte Ihnen einige Gedanken zu dem Thema "Hebammen und Laktationsberatung" vortragen.

Beginnen wir also mit der ersten Frage: Wie ist die Stillberatung von Hebammen?

Ich möchte hier meinen Kolleginnen nicht zu nahe treten, und Verallgemeinerungen sind immer viel zu pauschal und treffen nie auf die Einzelnen zu. Und ich möchte ausdrücklich betonen, dass es auch einige Hebammen gibt, die sich sehr in der Stillberatung engagieren und dies auch sehr gut machen.
Aber ehrlich gesagt: mein persönlicher Eindruck ist, dass viele von uns Hebammen keine optimale Stillberatung machen und nur wenige von uns in der Lage sind, mit Stillschwierigkeiten adäquat umzugehen und sie zu lösen.

Das Angebot der Hebammen umfasst die komplette Betreuung der regulären Schwangerschaft, der Geburt sowie des Wochenbettes bis zum Ende der Stillzeit.
Diese Aufgaben sind im Hebammengesetz verankert und werden entsprechend der Hebammengebührenverordnung von den Krankenkassen erstattet.

Wir, Hebammen, haben daher eine zentrale Rolle bei der Stillförderung und Stillberatung und können sehr viel für das Stillen tun:


Soweit die Theorie.
Wie sieht unsere Stillberatung nun aber tatsächlich aus?

In der Realität sieht es leider an vielen Stellen etwas anders aus.
So sind etwa in manchen Geburtsvorbereitungskursen die von den Hebammen vermittelten Inhalte zum Stillen äußerst dürftig und nicht gerade aktuell.

Wie viele von uns schauen sich denn z.B. die Brüste einer Schwangeren?

Auch höre ich immer wieder, dass z.B. einige von uns noch die Brustwarzenabhärtung in der Schwangerschaft empfehlen oder den Schwangeren sagen, dass schmerzende Brustwarzen in den ersten Wochen nach der Geburt völlig normal seien.

Was wissen wir von den möglicherweise gravierenden Auswirkungen von Schmerzmitteln unter der Geburt auf das allgemeine Verhalten der Neugeborenen und das Stillen? Und wie gehen wir damit um?

Und glauben wir nicht insgeheim, wenn wir das Neugeborene nach der Geburt nur kurz zum Wiegen und Messen vom Bauch der Mutter nehmen, wird das dem Bonding schon nicht schaden!? Schließlich wollen vielleicht noch mehr Babys in unserer Schicht geboren werden.

Und nach der Geburt?
Wie oft nehmen wir uns die Zeit abzuwarten, bis Mutter und Kind das Anlegen selbständig schaffen?
Wir geben den Müttern gut gemeinte Ratschläge, welche Nahrungsmittel in der Stillzeit zu meiden sind. Wir raten ihnen, unbedingt bei jeder Mahlzeit beide Brüste anzulegen und mindestens zwei Stunden zwischen den Stillmahlzeiten abzuwarten.

Wie lange probieren wir bei Stillproblemen erst einmal alles Erdenkliche aus, bis wir aufgeben müssen, weil uns nichts mehr einfällt?

Und was antworten wir einer jungen Mutter, die verzweifelt fragt, ob es denn noch etwas gäbe, was sie ausprobieren könnte? Geben wir ihr die Nummer einer Kollegin, die mehr Erfahrung oder sogar eine Spezialausbildung hat?
Eher nicht, oder? Schließlich ist es doch "unsere" Frau!

Diese Liste ließe sich noch weiter führen, aber ich möchte jetzt zu den Gründen für diese Situation kommen.

Der Hauptgrund für diese Defizite ist sicher in der Hebammenausbildung zu suchen.

Wir alle wissen ja, dass die Ausbildung aller medizinischer Berufsgruppen auf dem Gebiet des Stillens früher recht mager war und es zum großen Teil noch immer ist.

Als ich von 1984 - 87 in Hamburg den Hebammenberuf gelernt habe, waren in unserem Lehrbuch nur 9 1&Mac218;2 Seiten von insgesamt 650 dem Stillen gewidmet. Wohlgemerkt: diese behandelten sowohl Anatomie und Physiologie, sowie die praktische Anleitung des Stillens bis zum Abstillen, als auch die Pathologie.
Der theoretische sowie der praktische Unterricht waren dementsprechend.

Heute sieht das natürlich schon anders aus: im Lehrplan der Hebammenausbildung sind für drei Jahre 400 Stunden praktische Stillanleitung sowie 42 Stunden Theorie zum Stillen vorgesehen.

Im Curriculum "Stillen in der Hebammenausbildung" sind sogar 109 Theoriestunden in verschiedenen Fächern geplant. Außerdem wird eine Aufwertung der Stillinhalte durch eine entsprechende Ausrichtung der mündlichen Prüfung angestrebt.

Es besteht also gute Hoffnung, dass künftige Hebammen in ihrer Ausbildung mehr Fachwissen zum Stillen lernen, als noch vor einigen Jahren.

Ausbau- und verbesserungsfähig bleibt die Ausbildung der Hebammen jedoch weiterhin, zumal gerade bei Schülerinnen die praktische Anleitung von großer Bedeutung ist.

Aber die Lösung von schwierigen Stillsituationen kann aus didaktischen Gründen noch nicht in der Grundausbildung vermittelt werden. So ist doch hierzu ein bereits vorhandenes Maß an Erfahrung und Routine und sehr viel mehr Hintergrundwissen erforderlich.
Hierzu bieten sich also nach einer gewissen Berufspraxis entsprechende Fort- und Weiterbildungen an.

Ein Blick in die Fachzeitschriften für Hebammen zeigt, dass das Thema "Stillen" in den letzten Jahren sowohl im redaktionellen Teil als auch bei den Fortbildungsangeboten einen immer größeren Raum einnimmt.

Und auch auf der verbandspolitischen Ebene wurde in den letzten Jahren der Bedarf an Stillförderung und Stillfortbildung für Hebammen erkannt.
So ernannte der Hebammenverband Hamburg 1992 die erste Stillbeauftragte. Seit 1993 hat auch der Bund Deutscher Hebammen (kurz BDH) eine Stillbeauftragte und die anderen Landesverbände folgten nach und nach.

Die Stillbeauftragten kümmern sich um die Fortbildung der Hebammen, sitzen in verschiedenen Gremien, wie z.B. der Nationalen Stillkommission oder lokalen Förderkreisen, und haben beispielsweise die Stillrichtlinien für Hebammen erstellt.

Außerdem bietet der Hebammenverband inzwischen eine eigene Fortbildung zur Stillbeauftragten für die Klinik an.

Auch die Fortbildung zur Still- und Laktationsberaterin mit abschließender Prüfung ist eine Möglichkeit, die von Hebammen immer mehr genutzt wird, um sich auf dem Gebiet der Stillberatung weiterzubilden.

Dazu habe ich im Februar diesen Jahres Hebammen, die zugleich auch Still- und Laktationsberaterin sind oder es gerade werden, schriftlich befragt. Einige Ergebnisse daraus möchte ich Ihnen hier kurz vorstellen.

Es gibt zur Zeit in Deutschland 370 examinierte Still- und Laktationsberaterinnen, von denen 34 bekanntermaßen Hebammen sind. In der Ausbildung zur Still- und Laktationsberaterin befinden sich momentan 44 Hebammen.

Von diesen 78 Hebammen haben 37 (also 47 %) meinen Fragebogen ausgefüllt, so dass ich Ihnen hier durchaus repräsentative Ergebnisse präsentieren kann.

Auf dieser Grafik sehen Sie links untereinander die verschiedenen Antworten der Hebammen auf die Frage: "Warum haben Sie sich entschieden, sich auf dem Gebiet Stillen und Laktation weiterzubilden?" Der Balken rechts davon, zeigt wie häufig jede Antwort vorkam. Da Mehrfachnennungen möglich waren, ist die Gesamtzahl der Antworten größer als die Gesamtzahl der Teilnehmerinnen.

Wie Sie an den Balken sehen können, wurde hier das "Bemerken eigener Defizite", mit 30 Antworten am häufigsten von den Hebammen genannt.
Im Verhältnis dazu liegen die anderen Antworten mit 4-7 Nennungen recht dicht beieinander. Eine Gewichtung ist daher an dieser Stelle nicht möglich, es zeigt sich vielmehr, dass die spezifischeren Begründungen für diese Entscheidung recht vielfältig sind.



Auf der folgenden Grafik sehen Sie die Antworten auf die Frage: In welchen Bereichen konnten Sie durch die Weiterbildung ihre Kenntnisse erweitern? Es zeigt sich, dass die Weiterbildung vor allem Kenntnisse für die "Beratungspraxis" vermittelt, wie 25 Teilnehmerinnen bestätigten. Dicht gefolgt von der "Erweiterung von Grundlagen" und dem "Umgang mit Stillproblemen" mit 23 bzw. 24 Nennungen. "Neue Techniken" sowie das "Aktualisieren des Fachwissens" wurden ebenfalls von 20 bzw. 18 Hebammen genannt.
Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass auch die "Rückenstärkung" für die Auseinandersetzung mit Kolleginnen oder Ärzten von 5 der befragten Hebammen als Gewinn aus der Fortbildung benannt wurde.



Mehrfach wurde bei der Befragung auch zum Ausdruck gebracht, dass Still- und Laktationsberaterinnen von Hebammen oft als Konkurrenz angesehen werden.

Damit sind wir bei einem Problem angelangt, das ich hier etwas näher beleuchten möchte:

Dem Verhältnis von Hebammen und Still- und Laktationsberaterinnen:

Auch bei dieser Frage sind Verallgemeinerungen problematisch.
So gibt es viele Beispiele von guter, konstruktiver Zusammenarbeit zwischen beiden. Darauf werde ich an späterer Stelle noch ausführlicher eingehen.

Aber es gibt auch viele Spannungen, die sich wohl tatsächlich am besten als Konkurrenz beschreiben lassen. Dazu möchte ich als Erstes kommen.
Ich sehe hier vornehmlich zwei Ebenen, auf denen diese Konkurrenz besteht. Dies ist zum einen die politische Ebene und zum anderen die persönliche Ebene im Miteinander.

Wir wenden uns erst einmal der berufspolitischen Ebene zu

Die politische Ebene der Konkurrenz wird geprägt von der Weigerung der Hebammen den Beruf der Laktationsberaterin anzuerkennen.

So malen manche Hebammen die Konkurrenz durch andere Berufsgruppen an die Wand. Da heute zum Beispiel auch Geburtsvorbereiterinnen, Wochenpflegerinnen und eben Still- und Laktationsberaterinnen, Teilbereiche von ehemals "originären" Hebammentätigkeiten anbieten.

Historisch betrachtet ist diese Konkurrenzangst der Hebammen durchaus verständlich. So haben die Hebammen in vergangenen Zeiten wesentlich mehr Verantwortung gehabt als heute. Doch seit in den 60er Jahren die Geburten immer mehr in die Krankenhäuser verlegt wurden, mussten die Hebammen ihre Verantwortung in der Schwangerschaft und bei der Geburt mehr und mehr an Ärzte und Apparate abgeben. Nicht wenige Hebammen hatten in dieser Zeit ernsthafte Existenzsorgen.

Dabei ist heute, wie auch früher, eine flächendeckende, lückenlose Betreuung aller Schwangeren und Wöchnerinnen durch Hebammen überhaupt nicht gegeben. Beispiel Hamburg:
Dort gibt es ca. 18.000 Geburten im Jahr. Der Hebammenverband Hamburg schätzt, dass etwa ein Drittel ohne Wochenbettbetreuung durch eine Hebamme bleibt. Ich persönlich glaube, es müssen sogar noch weit mehr sein.

Denn: in Hamburg gibt es etwa 400 Hebammen, von denen ungefähr 220 in der Wochenbettbetreuung tätig sind. Viele davon allerdings nur in Teilzeit aufgrund ihrer eigenen Familiensituation oder als Nebentätigkeit bei einer Klinikanstellung.

Verteilt man die 18.000 Geburten nun auf die 220 Wochenbetthebammen, müsste jede dieser Hebammen theoretisch im Jahr 82 Wöchnerinnen betreuen. Auch nach Abzug der unbetreuten Drittels blieben für jede der Hebammen 55 zu betreuende Mütter.

Das halte ich noch immer für eine utopische Zahl. So waren es bei mir, in Teilzeit, im ganzen letzten Jahr nur insgesamt 16 Wochenbettbetreuungen.
Selbst wenn der Hebammenverband richtig geschätzt hat, betreut also ein Teil der Hebammen sogar erheblich mehr Frauen als die errechneten 55 im Jahr. Und dass dies die Qualität und Intensität der Betreuung nicht beeinflusst, ist für mich kaum vorstellbar. Gerade bei Müttern mit Stillproblemen dauert ein Wochenbettbesuch schnell mal 11&Mac218;2 bis 2 Stunden.

Auch in anderen Städten sowie in vielen ländlichen Regionen wird dies nicht anders sein. Besondere Engpässe entstehen jedes Jahr zur Urlaubszeit und über die Feiertage. Und sollte, wie von der Gesundheitsreform geplant, bald vermehrt am 3.Tag nach der Geburt aus der Klinik entlassen werden, müssten sicher noch weit mehr Mütter im Wochenbett ohne Hebamme zurechtkommen.

Ich komme hier zu der Feststellung, es besteht heute eher ein regionaler bzw. sogar ein allgemeiner Mangel an Hebammen.

Trotzdem wird den Still- und Laktationsberaterinnen in berufspolitischen Diskussionen gelegentlich vorgehalten, sie würden den Hebammen Arbeit wegnehmen.

Aber, ist das wirklich so?!

Anhand von drei Punkten möchte ich dieser Frage nachgehen.
Als Erstes schauen wir uns dazu kurz einmal einige Ergebnisse der repräsentativen, sogenannten Suse-Studie zu "Stillen und Säuglingsernährung in Deutschland" an, die im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit durchgeführt wurde. Sie ist im Ernährungsbericht 2000 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (kurz DGE) veröffentlicht und wird von Frau Dr. Mathilde Kersting heute noch an dieser Stelle ausführlich vorgestellt werden.

Nun zu den Ergebnissen:

Von 1717 untersuchten Müttern aus 177 Geburtskliniken hatten 60% bereits in den ersten beiden Lebenswochen des Kindes Stillprobleme.

Wie Sie anhand dieser Grafik sehen können, hätten die meisten der genannten Schwierigkeiten, wie z.B.: wunde Brustwarzen, zu wenig Milch, Milchstau, mit einer kompetenten Information und Beratung vermieden oder behoben werden können.

Stillprobleme innerhalb der ersten 14 Tage(1) (% der Mütter)
Wunde Brustwarzen 34%
Zuwenig Milch 27%
Milchstau 18%
Schwierigkeiten des Kindes beim Trinken 18%
Brustentzündung 10%
Flach-, Hohlwarze 6%
Zuviel Milch 5%
(1) Mehrfachnennungen


Zur Beratung bei den Stillproblemen wandten sich 51% der Mütter nach der Klinikentlassung an eine Hebamme bzw. Stillberaterin. Von der Qualität ihrer Beratung hängt es daher maßgeblich ab, ob die Schwierigkeiten überwunden werden oder die Mutter das Stillen vorzeitig aufgibt.

Beratung bei Stillproblemen in den ersten 14 Tagen (in %)
Hebamme, Stillberaterin 51%
Bekannte, Familie 26%
Frauenarzt/Kinderarzt 7%
Geburtsklinik 1%
Stillgruppe < 1%

Wir können daran sehen, dass die Hebamme in diesem Moment eine ganz wichtige Schlüsselrolle hat.
Erfreulich ist, dass 80% der Mütter die Beratung bei Problemen als gut erlebten.
Wie aber ist es den restlichen 20% ergangen? Und warum wandten sich 49% der Mütter mit Stillproblemen nicht an eine Hebamme oder Stillberaterin?
Ich meine, diese Zahlen sollten uns zu denken geben.

Wenn man sich den von der Suse-Studie ermittelten Verlauf der Stillquoten ansieht, ging denn auch der Anteil der ausschließlich stillenden Mütter bereits nach der Geburt von 73% am 5. Lebenstag auf 42% nach 2 Monaten zurück. 6 Monate ausschließlich gestillt, wie von WHO und UNICEF empfohlen, wurden lediglich 10% der Säuglinge.

Stillquoten im 1. Lebensjahr (in %) Alter des Säuglings
Stillkategorien 5d(1) 14d 2Mo 4Mo 6Mo 9Mo 12Mo
Ausschließlich Stillen(2) 73% 60% 42% 33% 10% < 1% ---
Überwiegend Stillen(3) 5% 15% 17% 11% 3% < 1% < 1%
"Vollstillen" 78% 75% 59% 44% 13% < 1% < 1%
Zwiemilch(4) 8% 10% 11% 7% < 1% --- ---
Stillen + Beikost --- --- < 1% 4% 26% 20% 9%
Zwiemilch + Beikost --- --- < 1% 4% 9% 6% 4%
Säuglingsmilch 12% 15% 28% 20% 2% --- ---
Säuglingsmilch + Beikost --- --- 2% 21% 50% 74% 87% (5)
(1) Klinikentlassung; 2 % fehlende Angaben, z. B. ambulante Geburt
(2) Muttermilch ohne andere Flüssigkeit oder Nahrung
(3) Muttermilch und Flüssigkeit (KH-Lösung, Tee etc.)
(4) Muttermilch und Säuglingsmilch und ggf. Flüssigkeit
(5) einschließllich 12% ohne Säuglingsmilch



Ich denke, hier wird recht deutlich, dass die zur Zeit bestehende Betreuungssituation nach der Geburt nicht ausreicht, um stillwilligen Müttern effektiv zum Stillen zu helfen.

Dementsprechend wird im Ernährungsbericht 2000 auch gefordert, ein effektives Betreuungsnetz zu installieren. Dieses sollte möglichst schon in der Schwangerschaft, spätestens aber in der Klinik, beginnen, und von Hebammen, Laktationsberaterinnen, Stillgruppen, Ärzten und dem öffentlichen Gesundheitssystem weitergeführt werden. Als wichtiger Schritt wird auch die Aufnahme der Stillberatung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen genannt.

Ich komme nun zum zweiten Punkt meiner Argumentation zu dem Vorwurf: Laktationsberaterinnen nehmen Hebammen die Arbeit weg!

Der größte Teil der Mütter, die eine Still- und Laktationsberaterin aufsuchen, wurde im Wochenbett bereits von einer Hebamme betreut.
Aber: diese weiß entweder keine Lösung des Stillproblems, hat die Betreuung bereits abgeschlossen oder die Mutter war mit ihrer Stillberatung nicht zufrieden.

Anders ausgedrückt:
Würden die Hebammen in der Wochenbettbetreuung kompetenter zum Stillen beraten, wären viele der zur Zeit erfolgenden Konsultationen von Still- und Laktationsberaterinnen nicht erforderlich.

Als drittes Argument ist zu sagen, dass Still- und Laktationsberatung meistens eine Kurzzeit- bzw. Einzelintervention ist. Das heißt konkret: Laktationsberaterinnen sehen die meisten Frauen nur 1-2mal. Anschließend wird eventuell noch für einige Zeit telefonischer Kontakt gehalten. Danach hat sich der größte Teil der Stillschwierigkeiten in der Regel aufgelöst.

Kurz gesagt:
Eine Still- und Laktationsberatung kann und soll also niemals die kontinuierliche, ganzheitliche Betreuung durch die vertraute Hebamme ersetzen.

Ich denke, Sie kommen nach diesen Ausführungen, zu dem gleichen Schluss wie ich, nämlich: dass Laktationsberaterinnen den Hebammen keine Arbeit wegnehmen, sondern sie nur im Bedarfsfall ergänzen.

Wir kommen somit zur Beziehungsebene und beschäftigen uns zunächst mit den Konkurrenzgefühlen und anschließend mit der Kooperation.
Auf der Beziehungsebene gibt es, meiner Meinung nach, drei Formen der Konkurrenz.

Zunächst zum "Whose-Mother?-Syndrom"

Dieser Begriff stammt nicht von mir und ich weiß auch nicht, wer ihn eigentlich geprägt hat. Falls jemand mir hier einen Tipp geben kann, wäre ich sehr dankbar. Ich verwende ihn trotzdem, weil er die zugrundeliegende Problematik sehr gut beschreibt.

Das "Whose-Mother?-Syndrom" geht zurück auf den Begriff des "Whose-Baby?-Syndrom", der erstmals 1991 von Dr. Ernest Freud, einem englischen Psychoanalytiker und Sohn Siegmund Freuds, gebraucht wurde.
Das "Whose-Mother?-Syndrom" ist nicht nur unter uns Hebammen weit verbreitet. Ich kann mich persönlich davon auch nicht völlig freisprechen. Sondern man trifft es natürlich genauso bei Krankenschwestern, Kinderkrankenschwestern, Ärztinnen usw.

Es beschreibt, dass wir "Helferinnen" tief in uns überzeugt sind, dass die Schwangere oder die Wöchnerin uns gehört, wir für ihr Wohlergehen verantwortlich sind und nur wir, durch unsere Erfahrung, wissen, was gut und richtig für sie und ihr Baby ist.

Zum Mutterwerden gehören nun einmal die Schwangerschaft, die Geburt, und eben auch das Stillen. Und wenn wir eine Mutter unterstützen, nach der Entbindung die enge Verbundenheit mit dem Baby wieder herzustellen, es zu nähren und zu stillen, so erfüllt uns das, genau wie die Mutter selbst, mit Stolz und Zufriedenheit.

Wir haben also zumeist unbewusste Macht- und Besitzansprüche. Und natürlich haben wir es gar nicht gern, wenn wir Konkurrenten für unsere Mütter bekommen. Andere Ratgeber, aber auch zuweilen die Väter oder andere Angehörige, werden daher von uns als "Eindringlinge" erlebt. Wir fühlen uns von ihnen bedroht und haben Angst, unsere Mütter zu verlieren.

Was also tun wir?
Wir werten die Konkurrenz ab, ignorieren sie oder greifen sie an.
Hinter den, bei neuen Impulsen oft zu beobachtenden Widerständen des Pflegepersonals, verbirgt sich also nicht selten eine massive Abneigung gegen Veränderungen und die Angst, die Mütter könnten einem abspenstig gemacht werden.

Bei der Angst vor persönlicher Blamage spielen eher Unsicherheit und geringes Selbstwertgefühl eine Rolle. Manche Hebammen meiden es vor Kolleginnen oder auch den betreuten Frauen mangelnde Fachkenntnisse einzugestehen, weil sie fürchten, dies könnte ihnen als persönliches Versagen ausgelegt werden. So sagte einmal eine Hebamme zu mir: "Wenn Du einer Mutter etwas ganz Anderes vorschlägst als ich zuvor, steh ich ja da wie Klein-Doofi und deshalb gebe ich keiner Frau Deine Nummer."

Auch ist gelegentlich Neid aus der Kritik der Hebammen zu vernehmen, da das private Honorar für Still- und Laktationsberaterinnen über den viel zu niedrigen Gebührensätzen der Hebammen liegt.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen:
Es scheinen im Wesentlichen innere Widerstände für die Konkurrenzgefühle und die Ablehnung der Hebammen verantwortlich zu sein.

Demzufolge können Sie sich vielleicht schon vorstellen, welche Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den Laktationsberaterinnen auftreten können:

Zum Beispiel versuchen manche Hebammen zunächst relativ lange, selbst die Stillprobleme zu lösen. Erst wenn sie absolut nicht mehr weiterwissen oder ihre Betreuung bereits beendet ist, nennen sie den Mütter mit Stillschwierigkeiten, als letzte Möglichkeit, eine Laktationsberaterin. Es liegt hier auf der Hand, dass die Probleme oft bereits sehr massiv und die Mütter schon sehr erschöpft und frustriert sind. Sie möchten meist eine sofortige Lösung des Problems. Aber da auch eine Laktationsberaterin nicht zaubern kann, ist die Erfolgsquote eher gering.

Gelegentlich kommt es vor, dass eine Hebamme nicht auf Kontaktversuche der Laktationsberaterin reagiert.
Manchmal gibt sie sogar offen zu verstehen, dass sie nicht an einer Kooperation interessiert ist.

So raten einige Hebammen eher zum Abstillen als einer Mutter die Telefonnummer einer Laktationsberaterin zu geben. Selbst auf Nachfrage wird einer Mutter bei Stillproblemen diese Option nicht genannt.

Hat eine Mutter dann irgendwie doch alleine den Weg zu einer Laktationsberaterin gefunden, ist sie oft enttäuscht, dass ihre Hebamme sie nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.

Manche Mutter wurde auch schon vor die Alternative gestellt, entweder die Hebamme betreut sie weiter oder die Laktationsberaterin. Gelegentlich möchten die Mütter daher nicht, dass die Laktationsberaterin Kontakt zu ihrer Hebamme aufnimmt.

Findet in solchen Fällen trotzdem eine Laktationsberatung statt, so erfolgt dies in der Regel erst sehr spät. Die Mütter sind zwar eigentlich hoch motiviert zu stillen, aber es fehlt ihnen mittlerweile die Kraft und Ausdauer noch länger an dem Problem zu arbeiten. So sagte einmal eine Mutter mit einem sehr komplexen Stillproblem zu mir: "Es ist zwar alles richtig, was Sie festgestellt haben und ich glaube auch, dass Ihre Vorschläge funktionieren würden. Aber Sie sind einfach 6 Wochen zu spät zu mir gekommen. Jetzt habe ich keine Energie mehr, sondern möchte das Leben und auch den Körperkontakt mit meinem Baby einfach mal nur genießen. Darum stille ich es jetzt ab."

Erfreulicherweise gibt es aber auch zahlreiche Beispiele von echter Kooperation zwischen Hebammen und Laktationsberaterinnen.

Die echte Kooperation ist meist eine gewachsene Zusammenarbeit. Wobei der 1. Kontakt häufig von der Laktationsberaterin ausging oder durch Zufall zustande kam.

Oft stellt sich die Laktationsberaterin bereits in den Geburtsvorbereitungskursen der Hebamme vor oder führt dort sogar den Still-Infoabend in eigener Regie durch. Häufig können Laktationsberaterinnen in Hebammenräumen oder in Geburtshäusern Stillvorbereitungskurse oder Stillgruppen anbieten.

Bei Stillproblemen, die ihre Kompetenz überschreiten, schlägt die Hebamme der Mutter den Besuch einer Laktationsberaterin vor. Ist die Mutter einverstanden, informiert die Hebamme die Laktationsberaterin über den Fall. Diese führt dann eine Beratung durch. Oft ist die Hebamme dabei auch zugegen oder bekommt anschließend von der Laktationsberaterin einen Bericht.

Die Hebamme betreut die Frau weiter und gibt der Laktationsberaterin Rückmeldung über den Erfolg. Bei Fortbestehen von Problemen werden weitere Termine zur Laktationsberatung vereinbart.

Diese Art der Kooperation ist gekennzeichnet durch frühe Konsultation, kurze Intervention der Laktationsberaterin und eine gute Erfolgsquote. Die Mütter fühlen sich von ihrer Hebamme gut betreut und halten den Kontakt zu ihr weiter.

Zusammenfassend kann man also sagen:
Wenn die Hebamme bei größeren Stillproblemen früh den Kontakt zu einer Laktationsberaterin bahnt, halten die Mütter den Kontakt zu ihr weiter.
Mussten die Mütter jedoch selbst nach einer Laktationsberaterin suchen, sind sie meist von der Hebamme enttäuscht und möchten nicht länger von ihr betreut werden oder der Kontakt zur Hebamme ist ohnehin schon lange abgebrochen.

Kurz gesagt:
Eine Hebamme tut sich selbst einen Gefallen, wenn sie rechtzeitig an andere Kompetenzen verweist. Die Mütter fühlen sich dann nämlich bei ihr gut aufgehoben.

Ich komme zu der letzten Frage:
Wie kann die bestehende Situation verbessert werden?
Hierzu möchte ich vier Vorschläge machen!

1. Mehr Stillfachkenntnisse in die Hebammenausbildung

Mehrere Hebammenlehrerinnen arbeiten bereits daran, die Hebammenausbildung zum Stillen bundesweit zu vereinheitlichen, denn hier gibt es noch große regionale Unterschiede. Dabei wird sich sowohl darum bemüht, die Stundenzahl des Theorieunterrichts zu erhöhen. Als auch die Qualität des Unterrichts zu verbessern.

2. Vorschlag: Stillberatung als ein Schwerpunkt der Hebammenfortbildung

Stillen ist das zentrale Thema im Wochenbett. An der Betreuung beim Stillen werden heute nicht nur die Geburtskliniken, sondern auch die Hebammen in der Wochenbettbetreuung gemessen. Alle Hebammen sollten daher bemüht sein, sich auf dem Gebiet der Stillberatung intensiv fortzubilden.

Hier gibt es mehrere Möglichkeiten, z.B. über die Landesverbände der Hebammen, den BDH oder z.B.: die AFS.

Ich persönlich möchte allen Hebammen, die dieses Fachgebiet interessiert, besonders die Fortbildung zur Still- und Laktationsberaterin ans Herz legen. Meiner Meinung nach, ist sie, eine ideale Erweiterung und Vertiefung unserer Qualifikation.

3. Politische Anerkennung der Laktationsberaterinnen

Hier gibt es in letzter Zeit ebenfalls Annäherung zwischen den Berufsverbänden. So liefen Gespräche zwischen der Stillbeauftragten des BDH sowie den Vorsitzenden des BDL, die auf eine gegenseitige Anerkennung der Berufsgruppen abzielten. Leider stieß dies jedoch bei einigen Vorstandsfrauen des Hebammenverbandes auf Ablehnung, so dass im Moment nur gesagt werden kann, dass von Seiten des BDL die Gesprächsbereitschaft weiter vorhanden ist.

Unabhängig von den politischen Querelen, sollten Hebammen, die ernsthaft an der Förderung des Stillens interessiert sind, die fachliche Qualifikation der Still- und Laktationsberaterinnen anerkennen und mit ihnen zusammenarbeiten, so dass sich beide Gruppen gegenseitig ergänzen und die eigenen Energien, anstatt gegeneinander, gemeinsam für das Stillen und die Mutter-Kind-Paare einsetzen können.

4. Vermehrte Zusammenarbeit von Hebammen und Still- und Laktationsberaterinnen

Ich finde, eine Hebamme muss auf dem Gebiet der Still- und Laktationsberatung nicht alles können oder wissen. Dazu ist jenes, ebenso wie das gesamte Fachgebiet der Hebammen, einfach zu groß und zu vielfältig.
Aber wir sollten die stillenden Mütter und ihre Stillprobleme ernst nehmen.

Daher möchte ich zum Abschluss die Hebammen auffordern:
Und den Laktationsberaterinnen empfehle ich:

© Regine Gresens, 2001