Wassergeburt - sanft und sicher
Eine aktuelle Bestandsaufnahme

Dr. Albin Thöni hat in einer Studie die Wassergeburts-Erfahrungen der GeburtshelferInnen am Krankenhaus Sterzing in Tirol über einen Zeitraum von 4 Jahren (Februar 1997 - März 2001) anhand von 650 Geburten im Wasser analysiert und kommentiert. Die Ergebnisse sind beeindruckend und richtungsweisend:


Dr. Thöni kommt zu dem Schluss, dass die ablehnende Haltung (auch vieler Geburtsmediziner) gegen die Geburt im Wasser bei richtiger Methode nicht gerechtfertigt ist. Er sagt voraus, dass die Wassergeburt ihren exotischen Charakter verlieren und vielmehr ein fester Bestandteil auch der klinischen Geburtshilfe werden wird. Die Wassergeburt sieht er als eine Möglichkeit, Frauen eine frauenorientierte, schöne und selbstbestimmte Geburt zu ermöglichen.

Eine Zusammenarbeit zwischen den Hebammen und geburtshilflich tätigen ÄrztInnen hält er für eine Grundvoraussetzung, ohne Konkurrenzverhalten oder ungleiche Arbeitsaufteilung beider Berufsgruppen. Er geht noch weiter, indem er die "Hausgeburt" in der Klinik als Ziel vor Augen hat, bei der ein familienorientiertes und sicheres Konzept die Grundlage bildet. Die Wassergeburt betrachtet er dabei nur als einen Teil eines ganzheitlichen Konzeptes:

"Nur ein Ausgleich, die wiedergefundene Harmonie zwischen der Geburtsmedizin und der Geburtshilfe mit menschlichem Antlitz, wird in Zukunft erfolgreich sein."
(A. Thöni)



Die Studie:

Gebären im Wasser
Bericht nach 650, von den Hebammen "begleiteten",
Wassergeburten am Krankenhaus Sterzing

Ein Bericht von Dr. Albin Thöni
Arzt für Gynäkologie und Geburtshilfe
im Krankenhaus Sterzing/Südtirol

In den Kulturen und Religionen der Erde wird das Wasser zumeist mit dem Weiblichen in Verbindung gebracht. Ohne Wasser keine Fruchtbarkeit und kein Leben. So gilt das Wasser als Symbol der Fruchtbarkeit schlechthin, auch des ewigen Lebens. Auch wir Menschen bestehen größtenteils aus Wasser und entwickeln uns vor unserer Geburt im Fruchtwasser schwimmend. Wir können somit als Kinder des Wassers angesehen werden.
Es ist mittlerweile klar erwiesen, dass das Baby bei der Geburt im Wasser durch einen zu diesem Zeitpunkt maximal wirksamen Schutz-Reflex, der von den primitiven Hirnstrukturen gesteuert wird, kein Wasser aspiriert, denn es beginnt erst außerhalb des Wassers beim ersten Kontakt mit der Luft zu atmen und es ist eine Tatsache, dass Neugeborene unter Anleitung sich unter Wasser vorwärts bewegen können, lange bevor sie krabbeln oder gar gehen können.

Aufgrund dieser Erkenntnisse und Visionen für eine mehr frauenorientierte "sanfte" Geburtshilfe haben wir die Kreißsäle umstrukturiert und die Rahmenbedingungen geschaffen für "alternative" Gebärmöglichkeiten, insbesondere für die Geburt im Wasser.

Das Ziel dieser Studie besteht darin, die Qualität der an unserem Krankenhaus möglichen verschiedenen Gebärpositionen zu überprüfen und der Frage nachzugehen, ob es medizinische Vorteile für die Geburt im Wasser gibt. Dabei wird auch auf die Rolle der Hebamme als Spezialistin für die physiologische Geburt und die enge und fruchtbringende Zusammenarbeit zwischen Hebamme und Geburtshelfer zum Wohle der Gebärenden eingegangen.

Einleitung
Die Geburt eines Kindes ist heutzutage nicht mehr ein Zufallsereignis, sondern das große geplante Lebensereignis und die informierte Frau unserer Zeit wird dabei vorzugsweise jene Geburtenabteilungen aufsuchen, in denen sie ihre Ansprüche am besten verwirklichen kann. Gefragt sind deshalb Visionen für eine Geburtshilfe, die auch in Ambiente und Atmosphäre dem psychosozialen Ereignis der Geburt gerecht werden.

Vor wenigen Jahren haben wir auf die zunehmende Kritik der Gebärenden an bestimmten Entwicklungen der Geburtsmedizin, die die Geburt zu einem unpersönlichen und von Technik bestimmten Ereignis degradiert hat, reagiert und die Kreißsäle umstrukturiert. Mit der Installation einer (Gebärsaal-)Wanne und eines Gebärhockers haben wir die Rahmenbedingungen geschaffen nicht nur für so genannte "alternative" Gebärpositionen und -möglichkeiten sondern insgesamt für eine Geburtshilfe, die den modernen Erfordernissen und geänderten Ansprüchen der Frauen gerecht wird. Die Gebärende steht im Mittelpunkt. Das geburtshilfliche Team versucht sozusagen um ihre Wünsche und Bedürfnisse zu "kreisen" und sie letztlich als Partnerin im Sinne eines kundenorientierten Dienstleistungsbetriebes zu verstehen, nicht als zu entbindende Patientin.

Die Durchsetzung dieser Ziele verlangt von allen Mitarbeitern einen großen persönlichen Einsatz.
Nicht zuletzt ist es unser Bemühen, alles zu tun, um das Geburtserlebnis für die gebärenden Frauen und deren Partner zu vertiefen und insbesondere die innige Mutter-Vater-Kind Beziehung, eben das Kennen- Lernen und Vertraut-Werden zwischen der soeben neu entstandenen oder vergrößerten Familie zu ermöglichen, indem wir zwei Räume eingerichtet haben, in denen die junge Familie die Stunden, also die sensible Prägephase nach der Geburt, gemeinsam und möglichst ungestört verbringen kann.

Methode
An unserem peripheren Bezirkskrankenhaus erfolgten in den letzten fünf Jahren durchschnittlich 404 Geburten. Nach der Umgestaltung der Kreißsäle und dem Einbau der Gebärwanne ist die Anzahl der Geburten insbesondere infolge des Zustromes der Gebärenden von teilweise weit außerhalb des Einzugsgebietes von Jahr zu Jahr stets angestiegen und hat sich in den letzten Jahren auf über 400 stabilisiert.

Die Frauen entscheiden grundsätzlich selbst, ob sie ihr Kind in der Wanne, auf dem Kreißbett oder auf dem Hocker zur Welt bringen wollen. Sie wählen also jene Gebärposition, also den Gebärmodus, frei aus, der ihnen in der jeweiligen Phase der Geburt am angenehmsten ist. Die Gebärende bleibt in der Wanne zu keinem Zeitpunkt unbeaufsichtigt und kann selbstverständlich von sich aus jederzeit die Geburt im Wasser abbrechen.

Die erste Wassergeburt erfolgte an unserer Abteilung im Februar 1997. Aufgrund des zunehmenden Zuspruchs für diese Gebärmöglichkeit konnten wir bis am 01. März 2001 bereits die 650. Wassergeburt verzeichnen, wobei der entsprechende Anteil im Jahr 2000 auf 48 Prozent angestiegen ist. Mittlerweile nehmen 70 Prozent aller Gebärenden zumindest einmal unter der Geburt die entspannende Wirkung des Wassers in Anspruch, nur fünf Prozent lehnen von vorneherein die Geburt im Wasser ab.

Für die Geburt im Wasser gelten an unserem Haus die bekannten Ausschlusskriterien, an erster Stelle ein "suspektes" oder gar pathologisches CTG. Die kindlichen Herztöne werden zunächst außerhalb der Wanne kontrolliert und dann im Wasser zumeist intermittierend überwacht. Bei Bedarf wird auch eine kabellose Dauerüberwachung mit einer induktiven Übertragungstechnik durchgeführt. So bleibt sowohl die Bewegungsfreiheit der Gebärenden als auch die Sicherheit des Kindes in der Wanne weiterhin gewährleistet.

Nach Auswertung der letzten 20 Monate (01. Juli 1999 bis 01. März 2001) durften vier Prozent aller Gebärenden wegen eines "suspekten" CTG nicht in die Wanne, bei weiteren fünf Prozent des Wasserkollektivs wurde wegen neu auftretender CTG-"Alterationen" oder missfärbigem Fruchtwasser die Geburt im Wasser abgebrochen.

Das Durchschnittsalter der 650 Frauen, die bisher im Wasser geboren haben, beträgt 30 Jahre und der Anteil der Erstgebärenden 45 Prozent (290 von 650).

In der nachfolgenden Studie haben wir die Qualität der verschiedenen an unserer Abteilung möglichen Gebärmethoden bei den 650 Geburten im Wasser, bei 374 nicht selektionierten Geburten auf dem Kreißbett (unter Ausschluss der Gebärenden nach VE und BEL) und 150 Geburten auf dem Gebärhocker überprüft und ausgewählte objektive Parameter gegenübergestellt und analysiert.

Ergebnisse
Die Geburtsdauer war bei den Wassergeburten deutlich verkürzt. Während sie bei den 360 Zweit- und Mehrgebärenden im Vergleich zu den "Land-" und Hockergeburten nur um 20 Minuten (250 zu 270 und 265) verkürzt war, so war sie es bei den Erstgebärenden um 70 Minuten. Beim Vergleich der 290 Erstgebärenden im Wasser mit 200 auf dem Kreißbett und 85 auf dem Hocker ist ersichtlich, dass die Verkürzung der Geburtsdauer jedoch nur die Eröffnungsphase (EP) (370 zu 440 und 420 Minuten) betrifft und die Austreibungsphase (AP) gleich lange dauert (30 zu 35 Minuten).

Neben dem geburtsbeschleunigenden Effekt der teilweise aufrechten und der in der Wanne vermehrt möglichen Bewegungsfreiheit, verstärkt das Wasser, offensichtlich durch die zusätzliche entspannende und elastizitätssteigernde Wirkung, diesen Effekt.

An dieser Stelle muss jedoch erwähnt werden, dass bei der vertikalen Gebärhaltung eine direkte Unterteilung in Eröffnungs- und Austreibungsphase schwierig ist. In Bezug auf die relevanten kindlichen Parameter (arterieller Nabelschnur-pH-Wert und Gewicht) ist kein Unterschied zwischen den verschiedenen Gruppen festzustellen.
Alle 650 "Wasserbabys" waren klinisch unauffällig. Auch von kinderärztlicher Seite wird aus den bisherigen Erfahrungen an unserem Krankenhaus bestätigt, dass die Geburt im Wasser aufgrund des beim reifen Kind maximal ausgebildeten Schutzmechanismus kein Risiko für eine ungestörte Adaptation des Neugeborenen darstellt. Infektionen sind nicht aufgetreten und auch nicht zu befürchten. Die "Wasserbabys" wiesen im Durchschnitt einen besseren pH-Wert auf; das ist durch die kürzere Geburtsdauer und durch die verminderte Stressatmung der Gebärenden in der Wanne zu erklären. Das Colorit dieser Babys war jedoch nicht "rosiger" im Vergleich zu den "Landbabys".

Ein weiterer wichtiger Punkt, auf den im Folgenden genauer eingegangen wird, betrifft die Dammschnitt- und Dammrissrate. Hierzu ist festzustellen, dass an unserer Abteilung die Indikation zur Episiotomie restriktiv gestellt wird und keineswegs ein Routineeingriff ist. Das ist ganz im Sinne der gebärenden Frauen und im Einklang mit der Einstellung der Hebammen, die befugt sind, soweit erforderlich, den Dammschnitt durchzuführen und insbesondere im Einklang mit der veränderten und vollkommenen davon überzeugten Einstellung der Geburtshelfer, denn die bis vor wenigen Jahren genannten Vorteile der Dammschnitte werden inzwischen in zahlreichen Untersuchungen in Frage gestellt.

Die Ergebnisse nach 650 Wassergeburten sprechen für sich. Die fünf Dammschnitte (fünf von 650 = 0.77 Prozent) wurden zu Beginn unserer Erfahrungen rund um die Wassergeburt vorgenommen, mittlerweile werden an unserer Abteilung in der Wanne keine Dammschnitte mehr durchgeführt, da sie erstens kaum notwendig und zweitens aufgrund der halbaufrechten Haltung der Gebärenden nicht leicht durchzuführen sind. Auch der Dammschutz ist nicht gut möglich und aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen und neuerer Untersuchungen kann auf ihn verzichtet werden. Das signifikante Einsparen an Dammschnitten bei den Wassergeburten ging nicht zu Lasten von vermehrten Dammrissen, diese sind beim Wasserkollektiv sogar niedriger. Bei 58 Prozent der Erstgebärenden im Wasser (169 von 290) war weder ein Dammschnitt noch ein Dammriss zu verzeichnen gegenüber 36 und 43 Prozent bei den zwei anderen Gruppen.

Um eine erhöhte Dammrissrate zu vermeiden ist selbstverständlich die Kunst der Hebamme gefragt, die Gebärende in der Austreibungsphase möglichst nicht aktiv "nach alter Schule" zum Pressen anzuleiten und bei entsprechender Situation den Kopf des Kindes, zumal bei der Mehrgebärenden, zurückzuhalten beziehungsweise die Geschwindigkeit beim Durchtritt des Kopfes zu regulieren: Das Kind muss nicht in einer einzigen Wehe geboren werden! Die traditionelle Art des Pressens mit Luftanhalten und forciertem Druck nach unten ist bei der vertikalen Gebärhaltung unnötig und ungünstig.

Bei den 650 Frauen, die in der Wanne geboren haben, musste kein Analgetikum verabreicht werden, da die entspannende und schmerzlindernde Wirkung des Wassers offensichtlich ausreichend wirksam war; nur bei 4,5 Prozent der Frauen, die ursprünglich in der Wanne waren, wurde außerhalb eine Periduralanästhesie zur Schmerzlinderung angelegt.

Auch die Gabe von Wehenmitteln war bei den Wassergeburten nicht erforderlich, wobei zu bemerken ist, dass an unserem Hause prinzipiell keine Venenkatheter in der Wanne gelegt werden. Einerseits um den natürlichen Ablauf der Geburt nicht zu stören, andererseits um eine mögliche Eintrittspforte für Infektionen zu vermeiden.

Im Kollektiv der Wassergeburten ist eine Schulterdystokie zu verzeichnen, bei einer älteren Drittgebärenden mit dem bisher größten Kind von 4.660g. Die Situation wurde in der Wanne von der Hebamme bei geduldigem Abwarten mit dem bereits "geborenen" Kopf im Wasser während der dritten Presswehe mit Entwicklung des hinteren Armes bewältigt.

Schlussfolgerungen und Ausblick
Alternative Gebärpositionen und Gebärmöglichkeiten, insbesondere die Wassergeburt, geben immer noch Anlass zu teilweise emotionell geführten Diskussionen und kritischen Äußerungen von Vertretern der Geburtsmedizin, die mit ihrer Verurteilung der Wassergeburt geradezu an die Inquisition im tiefsten Mittelalter erinnern, so als ob geburtsmedizinische Dogmen verteidigt werden müssten.
Die Kritik an der Durchführung von Wassergeburten beruht auf Annahmen, die dem heutigen Kenntnisstand der fetalen Physiologie und der respiratorischen Adaptation des Neugeborenen nicht entsprechen. Hierzu gehört die Annahme, dass es zu einer Aspiration des Kindes bei der Wassergeburt kommen könnte. Diese Annahme ist falsch: Nur bei der intrauterinen Azidose sind alle Schutzfunktionen, also der so genannte Taucher- oder Luftanhaltereflex, von Seiten des Babys verändert oder auch nicht gewährleistet. Dieser Reflex, der von primitiven Hirnstrukturen gesteuert wird, verhindert, dass Wasser in die Lunge eindringt. Er ist beim reifen Baby maximal wirksam und scheint erst im Alter von etwa vier Monaten nachzulassen. Selbst wenn potentiell pathogene Keime im Wasser vorhanden wären, könnten sie aufgrund dieses Schutzmechanismus nicht in die Lunge eindringen und eine Infektion verursachen. Erst nach dem ersten Kontakt des kindlichen Kopfes mit der Luft erlöscht dieser Schutzreflex.
Wir glauben, dass die Wassergeburt ihre Außenseiterrolle verlieren und in den nächsten Jahren einen festen Platz in unserer Geburtshilfe einnehmen wird. Gerade die Wassergeburt geht über die Ziele einer sanften Geburt noch hinaus: Sie bietet eine frauenorientierte, minimale Interventionen verlangende, frauenfreundliche Geburtshilfe und führt deshalb auch zu hoher Zufriedenheit der Mütter. Auch die Hebammen bleiben dabei selbstbewusster und motivierter. Das Ziel für die Hebammen und die Geburtshelfer muss es sein, den Frauen zu einem schönen und selbstbestimmten Geburtserlebnis zu verhelfen. Dies ist vorzüglich bei der Geburt im Wasser gewährleistet.
Die Hebamme begleitet als Spezialistin für die physiologische Geburt die Gebärende im Wasser, während der Geburtshelfer sich mehr im Hintergrund halten kann. Dies bedeutet, dass es wieder zu einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen den Hebammen und den Geburtshelfern kommen muss - mit horizontaler Arbeitsteilung ohne Konkurrenzverhältnis beider Berufsgruppen. Insgesamt steht für uns sozusagen die "Hausgeburt" in der Klinik als Ziel vor Augen, das heißt ein familienorientiertes und zugleich sicheres Konzept in der Geburtshilfe, dabei stellt die Wassergeburt nur einen Teil eines ganzheitlichen Konzeptes dar und das Wohlergehen des Babys bleibt immer die Richtschnur jeder erfolgreichen Geburtshilfe.
Nur ein Ausgleich, die wiedergefundene Harmonie zwischen der Geburtsmedizin und der Geburtshilfe mit menschlichem Antlitz, wird in Zukunft erfolgreich sein.

Literatur


Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Albin Thöni
Krankenhaus Sterzing/Südtirol
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